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Volltext: Monatsschrift für Kunst und Gewerbe IX (1874 / 106)

Der menschliche Körper und seine Darstellung durch Malerei und Plastik. 
V o r t r a g , 
gehalten im k. k. Oesterr. Museum am 15. Jänner 1874 von Dr. A. Frisch. 
(Schluss) 
Wenn man von einer getreuen und naturwahren Darstellung des 
menschlichen Körpers verlangt, dass sie Leben vorspiegeln soll, so muss 
sie mit dem innigsten Verständnisse des Lebens geschaffen sein. Dem 
Maler und noch vielmehr dem Bildhauer drängt sich, wenn er nach dem 
lebenden Modelle arbeitet, immer wieder von selbst die Frage auf: Wie 
sieht das aus, was hier von Haut bedeckt ist, warum zeigt sich hier diese 
Form? Ich habe zu wiederholten Malen die Erfahrung gemacht, dass sich 
dem Schüler beim Zeichnen nach dem Modell das lebhafte Verlangen ein- 
stellte, eine oder die andere Partie des menschlichen Körpers anatomisch 
präparirt vor sich zu sehen, gleichsam als fehlte ihm mit der Unkenntniss 
der anatomischen Grundlage auch die Fähigkeit, das, was er sieht, leben- 
dig darzustellen. Anatomische Kenntnisse sind also dem Künstler geradezu 
Bedürfniss. 
Sie sollen für ihn aber auch wirklich ein reales Wissen sein. Es 
wäre ja möglich, dass man sich vorstellt, eine gewisse Empfindung, ich 
möchte sagen ein gewisses anatomisches Gefühl wäre hinreichend, um bei 
Vermeidung von Fehlern der Darstellung das nöthige Leben zu verleihen. 
Es gibt auch in der That einen anatomischen Tact, der sich nach ein- 
gehenden Studien, nach unausgesetzter Heissiger Thätigkeit herausbildet. 
Dieser anatomische Tact ist aber kein unbestimmtes Gefühl von anatomi- 
schen Kenntnissen, im Gegentheil, er bekundet einen hohen Grad von 
Sicherheit und Gewandtheit in der Behandlung der Form, die nur aus 
einer gründlichen Kenntniss der anatomischen Verhältnisse hervorgegangen 
sein kann. Ob dem Künstler, der mit diesem erlernten und ihm dann zur 
Natur gewordenen, gleichsam in seinen Griffel übergegangenen feinen 
Formverständnisse arbeitet, jederzeit die Namen aller Muskeln im Gedächt- 
nisse sind, das ist etwas, was gar nicht zur Sache gehört. Genug -- er 
ist sich bewusst, welche anatomischen Verhältnisse die Form bedingen, er 
durchdringt mit seinem Blick das ganze Menschengebilde bis ins Innerste 
-- er schaift mit einem feinen Verständnisse des Lebens. Anatomisches 
Gefühl in anderem Sinne, - als genügten beiläufige Vorstellungen von 
Gestalt und Wirkungsweise der Muskeln, von der Anordnung der Knochen, 
von der Beweglichkeit der Gelenke, kann ich nicht wohl gelten lassen. 
Indem ich als Beleg, wie umfassende anatomische Studien dem künstle- 
rischen Schalfen ein eigenartiges Gepräge zu geben im Stande sind, zwei 
Namen nennen will: Leonardo da Vinci und Michelangelo, kommt 
mir bei Nennung des letzteren ein kleines Schriftchen von Henke in Er- 
innerung, das den Titel führt: "Die Menschen des Michelangelo im Ver- 
gleich mit der Antikem
	        
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