formen mehr hervortreten lassen. Aber der Sachverständige, welchem ein angeblicher
Contrefacteur vorgeführt wäre, wurde in nicht geringe Verlegenheit gerathen, wenn dieser
behauptete: er habe eben nur aus denselben Quelle geschöpft. Das Ziel aller gegenwärtigen
Anstrengungen auf dem Felde des ltunstgewerblichen Unterrichts, ob er nun in wirklichen
Lehranstalten oder durch Publicationen, freie Vorträge etc. ertheilt werde, ist ia doch wieder:
ein Geschlecht von Kunsthnndwerkern heranzubilden, welche nicht blos im Stande waren
die Entwürfe anderer auszuführen, sondern die Gegenstände für den täglichen Bedarf selbst-
ständig künstlerisch zu gestalten. Das Ziel mag augenblicklich noch weit entfernt sein;
es für unerreichbar erklären, hiesse unserer Nation das Zeugniss geistiger Verkümmerung
austeilen. Denn was in der Renaissance-Zeit der Tischler, der Weber, der l-lafner, der
Schlosser, der Goldschmied in Franken und Schwaben wie in Niedersachsen, in den öster-
reichischen Alpenländern wie arn Rhein, von der grossen ganz Europa durchstrümenden
Kunstbewegung empfing, das wird unsere Zeit mit ihren für diese Zwecke wahrhaft un-
erschöpflichen Hilfsmitteln ihnen doch wieder zuführen kennen. Zu dern Ende lassen wir
die gesamtnte gewerbliche Jugend zeichnen lernen und schaffen allerorten Anstalten für
die Bildung des Formen- und Stylgefühls. Zu dem Ende werden die Schätze unserer
Museen so wohlfeil reproducirt, dass sie wirklich in die Werkstätten dringen können. Und
diese populären Sammelwerke, aus welchen der Arbeiter sehend lernt, die ihn anregen
Aehnliches zu versuchen, Motive in seiner Weise anzuwenden, halten wir deshalb für viel
wichtiger und zweckmässiger als die Publication von Entwürfen, welche ihre Entstehung
den nämlichen Anregungen verdanken, und die - unmittelbar doch nur wieder einem
Einzelnen zu gute kommen sollen. (A. A. Z.)
Litoraturhericht.
Die Reproductionen der alten Stickmusterbücher. Venedig,
H. F. M. Münster, t877.
Die Verlagsbuchhandlung H. F. M. Münster (F. Ongania) hat in jüngster Zeit zwe
alte Venezianer Stickmusterbücher veröffentlicht, und zwar das Werk wOpera Nova Uni-
versal intitulata corona di recammi-t, herausgegeben von G. A. Vavassore detto Guadagnino
und das -L'Honesto essempion vom Jahre t55o, herausgegeben von Mutthio Pagan in
Venedig (in S. Frezaria). Die Originale befinden sich im Besitze der Marltusbibliothek.
Besonders das erstgenannte Werk ist Stickern und Zeichnern bestens zu empfehlen. -
Auch das Oesterr. Museum besitzt Original-Stickmusterbücher aus dem Verlage der Firmen
Vavassore-Guadagnino und Matth. Pagan; einige hervorragende Muster sind in dem vom
Museum verbGentlichten Werke wStickmuster der Renaissance- (Wien, 1874) aufgenommen
worden. Es ist bekannt, dass die Antiquare, aufmerksam geworden auf den Werth der
Original-Stickrnusterbucher, horrende Preise verlangen; aus diesem Grunde können wir
es nur billigen, dass Herr Ongania in Venedig die Originale auf photo-lithographischem
Wege treu uachbildet. Auch von Seite des Museums wird im Laufe dieses Jahres eines
der für die praktische Verwerthung wichtigeren Stickmusterbücher auf ähnliche Weise
vertSlTentlicht werden. Die Venezianer Ausgabe wird in einer Auflage von nur too Exem-
plaren veranstaltet.
Aiwin Schultz: uDie Legende vom Leben der Jungfrau Maria und ihre
Darstellung in der bildenden Kunst des Mittelalters: Leipzig, bei
E. A. Seemann, 1878.
Die vorliegende Schrift bildet das erste Heft der nBeitrage zur Kunstgeschichte-
(unter Redaction des Dr. H. Lücke). welche einen Ersatz für die mit dem Tode
A. v. Zahn 's eingegangenen wJahrbucher der Kunstwissenscbaft- bieten sollen. -
A. Schultz's t-Legendeu behandelt das Leben der heil. Jungfrau von Maria Verkündigung
an bis zum Tode und der Himmelfahrt Maria, mit Benutzung der Legenden von Wernher
von Tegernsee, Jacobus von Voragine, Konrad von Schweinftirt u. A.. mit einer Einleitung
und eingehenden Noten. Wir könnten auch unseren Künstlern, welche sich mit Dar-
stellungen aus der christlichen Mythe beschäftigen, nur rathen, die Legenden vom Leben
und Tode der Maria wieder zur Hand zu nehmen, und wünschten, dass der fachkundige
Gelehrte uns einmal eine vollständige lkonographie des Lebens der Maria geben möchte;
denn die vorliegende Behandlung der Legende wird doch in jedem einzelnen Falle ._n6-
thigen, die verschiedenen apokryphen Evangelien und die Legenda aurea selbst zur Hand
zu nehmen. ln dem zweiten ikonographischen Theile ist der Ausdruck "Mittelalter-
nicht stricte zu nehmen; er greift nicht nur auf die Meister der Renaissance, ja auch auf