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Volltext: Monatsschrift für Kunst und Gewerbe V (1890 / 5)

herübergeholten Meister, die selbst entweder noch aus alten vergessenen 
Kunststätten stammten oder direct bei den Byzantinern gelernt hatten. Und 
in Wirklichkeit, wo auch hätte der abendländische Mönchskünstler, der 
irgend eine heilige Erzählung im Gemälde darstellen sollte, nach einer An- 
weisung suchen können, als nur in den Traditionen der Kirche? Und diese 
fand er entweder in Vorbildern der antik-christlichen Zeit (Sarkophage, 
Mosaiken u. dgl.) oder aber in byzantinischen Vorbildern (Handschriften, 
Schmelzwerken u. s. w.), und hier noch dazu mit einem Beiwerk ver- 
sehen, dessen mystischer Gedankengehalt ihm oft - nicht immer - 
zusagte. So hat der Occident ganz anders als der byzantinische Osten 
die Kreuzigung durch lange Jahrhunderte nicht als einfachen histo- 
rischen Vorgang aufgefasst, sondern durch das Aufstellen der Ecclesia 
und Synagoge den ganzen Vorgang theologisch vertieft; so hat er hin- 
wieder die Parabeln Jesu Christi einfach als Erzählungen aufgefasst, ja 
zu ganz netten Genrebildchen ausgestaltet, während der Orient hier tiefe 
mystische Gedanken zur Darstellung bringt. Man vergleiche, damit ich 
nicht allzuweit von unserem Bernward mich entferne, die Darstellung der 
Parabel vom reichen Prasser auf der Bernwardsäule und die im Maler- 
buche vom Berge Athos angegebene, namentlich die etwas junge Darstellung 
in der Note 2, S. 226 der Uebersetzung von Schäfer. Wenn also diese 
Unterweisung der Occidentalen durch die Byzantiner -- habe sie mittelbar 
oder unmittelbar stattgefunden - nothwendigerweise gewisse byzantinische 
Formen, ja ganze Typenreihen in die abendländische Kunst hereinbringt, 
so ist diese doch nie byzantinisch geworden, ihr innerstes Fühlen und 
Denken blieb abendländisch, ja sie hing, soweit es eben ihr gelingen 
konnte, an" der Antike, mit all' ihrer Naivetät: und erst als eine andere 
Lebensauffassung sich der westlichen Völker bemächtigt hatte, erst dann 
kann man vom Entstehen einer neuen Kunst reden. Noch in des Bern- 
wardus Zeit gingen wie ehemals in der Karolingischen Zeit zwei Strömungen 
nebeneinander einher: Bernwardus und die Hildesheimerschule überhaupt 
gehören zur rauhen, nationalen, von den Byzantinern wenig berührten 
Kunstrichtung; nur was sich aus der Antike hertibergerettet hat, was 
etwa aus der Antike neu herübergeholt wird, das hat veredelnden Ein- 
fluss auf diese harte Richtung, welche bei all' ihrer Genialität der Roheit 
nicht sich entledigen kann. Neben dieser Richtung treffen wir eine ganz 
gleichzeitige Strömung, welche in ihrer Anlehnung an die Antike viel 
feinere, richtigere Formen, ein gewisses zartes Gefühl für Schönheit hat; 
diese Richtung hat offenbar zeichnen gelernt bei Meistern, die entweder 
selbst Byzantiner waren oder bei Byzantinern in die Schule gegangen 
sind. Hier fühlt man wohl auch naturgemäß stärker die Herübernahme 
byzantinischer Typen und Formenkreise. Dass auch wohl die Lage der 
Länder, ob sie näher oder entfernter von den alten Culturmittelpunkten, 
ob sie mehr oder weniger den gewaltsamen Zerstörungen der Feinde 
ausgesetzt waren, einen ftihlbaren Einfluss auf diese beiden Strebungen
	        
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