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historischen Gesammtentwickelung der podolischen Kilimproduction der
Reihe nach vorführen. Die älteste Gruppe -- natürlich nicht dem Her-
stellungsdatum der uns heute zur Einsicht vorliegenden Repräsentanten,
sondern der Entstehung des hiedurch repräsentirten Genres nach - findet
sich in der Gegend von Zaloäce, und zwar ist sie daselbst nicht blos in
älteren Exemplaren vertreten, sondern wird auch heute noch gearbeitet.
Die hieher gebörigenKilims sind immer aus zweiSchrnalstreifen zusammen-
genäht, d. h. nicht auf einem eigenen Kilimwebstuhl von Bettdeckenbreite,
sondern auf dem gemeinen Leinenwebstuhl gefertigt. Die Muster sind so-
zusagen rein technischer Natur; dieselben sind nämlich entweder bloße
farbige Streifen, oder sie gehen darüber nur insoweit hinaus, als ihre
Schmalenden nicht bis an den beiderseitigen Rand des Kilims hinauslaufen,
sondern eine Anzahl feiner geradliniger Strahlen in der angedeuteten Rich-
tung entsenden. Es kann gar kein Zweifel sein, dass diese typische Art der
Musterung aus dem Bestreben hervorgegangen ist, die Farbfelder mög-
lichst wenig in der Richtung des Einschlags in geraden Linien gegen-
einander abzusetzen. Wir haben zwar gesehen, dass die ruthenischen
Wirker die durch eine solche scharfe Farbenabgrenzung entstehenden
Schlitze durch eine Verzahnung der beiderseitigen Farbfelder zu vermeiden
wissen; aber auch dieser Vorgang erscheint denselben noch heute - wie
ich mich überzeugt habe - so lästig, dass sie seine Anwendung durch
die Wahl geeigneterer Muster möglichst zu vermeiden trachten; weniger
scheinen sie dabei -- wenigstens heute - durch das künstlerisch Un-
befriedigende dieser Lösung, durch die Verwässerung der also her-
gestellten Contouren irritirt. Also entweder durchlaufende bunte Streifen,
oder solche mit strahlenförmigen Ausläufern gegen die Langseiten hin,
bilden das charakteristische Muster der -- ornamentgeschichtlich ge-
nommen - ältesten Gruppe von podolischen Teppichen. Diese Gruppe
ist es auch, die der hochherzige Schätzer und Förderer der galizischen
Bauernkunst, Se. Excellenz der Graf Wladimir Dzieduszycki, besonders
favorisirt und in seinem Museum zu Lemberg fast ausschließlich ver-
treten hat, was sich aus dem Umstände erklärt, dass der ständige Wohn-
sitz dieses Magnaten (Pieniaki) sich in der Nähe des Centrums der in
Rede stehenden Teppichclasse, des Städtchens Zaloäce, befindet.
Eine weitere Gruppe von geometrisch gemusterten Teppichen scheint
das Städtchen Touste zum Mittelpunkte zu haben. Das bezügliche Genre
findet sich wenigstens nirgends sonst so zahlreich und so ausschließlich ver-
treten, als in dem genannten Orte, wo fast in jedem Hause sich noch ein
alter Kilim befindet, in manchem sogar deren zwei. Es lassen sich daselbst
mehrere Muster unterscheiden. Das älteste ist noch streng streifenweise
vertheilt; die Scheidung zwischen einem Innenfelde und einer Bordüre
ist hier ebensowenig durchgeführt als in Zaloäce. Die Einzelmuster zeigen
gleichfalls das Bestreben, möglichst wenig in geraden Linien in der Rich-
tung des Einschlags abzusetzen; doch ist man über die bloßen Strahlen