WIENER SCHULGALERIEN
KINDER UND JUGENDLICHE LEBEN MIT MODERNER KUNST
Seit ein paar Jahren wird an Wiener Volks- und Hauptschulcn,
in Kindergärten, Lehrlingsheimen, Internaten ein interessantes
Experiment durchgeführt: Schulkindcr, Kleinkinder, Lehrlinge
leben mit moderner Kunst. Die Initiative ging vom Kulturamt
der Stadt aus. Der amtsführende Stadtrat für Kultur und Volks-
bildung, Hofrat Hans Mandl und sein liachkonsulent Professor
Eduard Gärtner hatten den Einfall, junge Menschen mit Original-
werken lebender zeitgenössischer Künstler vertraut zu machen.
Nicht allein durch gelegentliche Führungen in Ausstellungen,
Galerien, sondern - und das ist das Neue - die Ausstellungen
selber sOllten in die Schulen kommen. Schulräume, Stiegenhäuscr
in den Schulen, Vorführungssäle, Tagräumc in den Internaten
sollten Galerien werden.
Das war eine bestechende Idee, die nirgendwo sonst in Europa
Verwirklichung fand. Sie wurde auch nicht auf Grund obrigkeit-
licher Anordnung durchgesetzt, sondern hatte zuerst einmal als
Verführung auf die Leiter der Schulen und die Lehrer zu wir!
kcn. Am Anfang stand nichts als ein Vorschlag: ob der Schul-
direktor X, der Internatsvorsteher Y, der Heimleiter Z bereit
wären, einen Versuch zu machen. Dann wurden die ihnen vor-
gesetzten Behörden gefragt und dann die ersten Schulgalerirn
eröffnet. '
Das geschah in der Hauptsache mit Werken aus Öffentlichen Be-
ständen: Bilder, Graphiken, Skulpturen, welche die Stadt angr-
kauft hatte. Sie wurden aus den Depots geholt und dann in rea
gelrcchten, wechselnden Ausstellungen in den Schulen gezeigt.
In dutzendcn Schulen gibt es heute solche Galerien. Der Auf-
bau einer crklecklichen Anzahl anderer wird vorbereitet. Immcr
noch ist Freiwilligkcit oberstes Prinzip. An die 2000 Bilder wur-
den bereits gezeigt.
Auch die Künstler haben Feuer gefangen. Sie gehen mit ihren
Werken in die Schulen, halten Führungen und Diskussionen ab.
Ganze Vereinigungen wie die „Seeession", das „Künstlerh3us"
und „Der Kreis" ziehen hier mit Übersichten aus dem Schaffen
ihrer Mitglieder ein. Einzelne Künstler oder auch Vereinigungen
verpflichten sich, dafür zu sorgen, daß immer wieder neue Bil-
der in die Galerien kommen, teils eigene, teils Werke anderer
Künstler und Vereinigungen. Das Kulturamt für sich allein kann
den Anforderungen nicht mehr nachkommen. Scinc Bestände sind
nicht unerschöpflich und die zu leistende organisatorische Ar-
beit wird infolge der steigenden Nachfrage immer umfiinglicher.
Hinzu kommt, daß die Schulgalcricn insbesondere in dcn Außen-
bezirken (zum Beispiel in der Volks- und Hauptschule Lcopoldau
in der Adcrklaaerstraßc) sich zu Kullurzentren auch für Er-
wachsene entwickelt haben. Die Eltern, durch die Erzählungen
Galerie der Hauptschule (Glöckclschule) im 13. Bezirk.
ihrer Kinder angeregt, kommen sehr häufig gleichfalls in die Aus-
stellungen. Die Bezirksvorstehung und die Eltcrnvcrbiinde sind
durch Abgesandte bei den feierlichen Eröffnungen vertreten.
Man muß vor allem aber den Alltag der neuen Institution gesc-
hen haben: mit welcher Unbefnngenheit, mit welchem natürli-
chen Interesse sich die Kinder in ihrer Galerie aufhalten. Die Auf-
merksamkeit der Kinder erlahmt nicht. Immer wieder aufs neue
Galerie in cinm" Hzmpßchxllc im H. Bezirk. Schulgnlcric im Hcrdcr-Ilcim, vinum Knnhcnintcrnnt im 11. Bezirk.
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