reines-Basses
Bildhauer Pierre Roche, von dem wir noch
sprechen werden, darüber, daß sich die Tän-
zerin mit wissenschaftlichen Experimenten
beschäftigte. So ließ sie sich von Pierre und
Marie Curie bei einem Radium-Tanz beraten,
bei dem sie phosphoreszierend auf der ver-
dunkelten Bühne aufleuchtete. Um die optische
Wirkung ihrer Tanzschöpfungen zu steigern,
ließ sie sich mikroskopisch vergrößerte Auf-
nahmen von Diatomecn (Kieselalgen) auf ihre
schwingenden Schleiermassen projizieren, die,
wie auf dem Plakat zu sehen, strukturbildende
Akzente bildeten und nicht nur allein deko-
rativer Art sind. Völlig anders im Stil als das
Plakat ist „The Serpentine Dancer", ein bereits
1894,95 entstandenes Werk des Amerikaners
William H. Bradley. lis ist als ornamentalc Ab-
straktion gezeichnet. Von diesem Blatt sagt
Hans H. Hofstätter: „Die Serpentinentänzerin
Loie Fuller, die mit ihren schwingenden Schlei-
ern zum Lieblingsmotiv der jugendstilkünstler
ganz liuropas geworden ist und selbst die
tänzerische Auflösung der Figur in schwin-
gende Bewegung veranschaulicht, wird von
Bradlcy in einem Holzschnitt dargestellt, auf
dem nur große fischblasenähnliche Formen
die Fläche füllen, während im untersten
rechten Eck zwei Füße dieses Abstraktum
gegenständlich motivieren. Einige ]ahre später
veröHc-ntlichte dann Thomas Theodor Heine
(1867 1948) im 3. Quartal des ersten Jahr-
ganges der „Insel" (1900) seine Illustration
„Loie Fuller als Serpentinentänzerin" (Abb. 25).
Das Wesentliche des schnell vorübergehenden
Eindruckes bei der Vorführung eines gleichsam
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schwerelos erscheinenden Schleiertanzcs, der
damals so große Furore machte, ist hier genial
erfaßt. liin höchst (iriginellcr (nicht ausge-
führter) farbiger Plakatentwurf des öster-
reichischen Künstlers Kolo Moser (1868 bis
1918), Gründungsmitglied der XVicner Se-
zession, zeigt ebenfalls, wie sehr ihn das
Auftreten der Loie Fuller beeindruckte (Wien,
Albertina, Inv.-Nr. 266.177)Z9. Als eine der
berühmtesten Interpretinnen des Ausdrucks-
tanzes, der mehr und mehr das klassische
Ballett an Bedeutung verdrängte, kreierte sie
einen neuen Tanzstil, der großes Aufsehen
erregte. Die von ihr erdachten Tanzschöpfun-
gen, die sie - und auch das war etwas Neues 7
u. a. „danse Serpentine", „danse du papillon"
und „danse du feu" nannte, führte sie mit
kanalisierter und farbiger elektrischer Be-
leuchtung vor. Dazu kamen technisch so neu!
artige Effekte, wie daß sie auf einem gläsernen
und von unten beleuchteten Bühnenhoden
tanzte, ganz abgesehen davon, daß der Bühnen-
raum völlig verspiegelt war, so daß die Zu-
schauer nicht eine, sondern viele Loie Fullers
vor sich wähnten. In ihrem Tanz vereinigte sie
vor allem Licht und Bewegung, und, was
die farbige Gestaltung als zusätzliches lile-
ment anbetrifft, so ließ sie sich, was sehr auf-
schlußreich ist, dazu von den gotischen Glas-
fenstern der NötreaDame in Paris inspirieren.
Sie war gleichsam der Inbegriff dessen, was
sich ihre Zeitgenossen als neue Lebensvision
erträumten und sie stand, so gesehen, im
Zenit des Art Nouveau. Sie muß ihre Zu-
schauer in einer Weise fasziniert haben, wie
dies für uns heute kaum mehr vorstellb;
Dafür sollen hier zwei zeitgenössische L
zitiert werden. Das eine findet sich bei l
Graf Keßler in seinem Essay über: „l
und Religion" (x'gl.: Pan, 5. ]g., 1899i
S. 169), in dem er schreibt: „Die Loie l
hat unserer Zeit die Verwandtschaft zvai
dem Schauspiel des Tanzes und den
Ornamentes wohl am deutlichsten zun
wußtsein gebracht." Dann sei Isadora D"
aus ihren Memoiren zitiert, die über die
Fuller sagte: „Vor Augen
wandelte sie sich in eine farbenpräi
schillernde Orchidee, in eine wogende, sel
kende Wasserblume, in eine spiralig gr
dene Lilie. Dieses herrliche Geschöpf z-
zu Licht, es wurde zu Farbe und Feue
löste sich schließlich in wundersame
rnenrle Mäander auf, die aus der Unendlit
zu leuchten schienen, alle magischen K
eines Merlin, ein Zauber Vnn Farbe und
strahlten von ihr aus. Es war kaum zu
und kann weder erzählt noch beschi
werden. Sie hatte ihren Serpentinentanz
erfunden, der faszinierende Wechsel de
bensatten Bilder, die wallenden Gewand
hauehdünner Seide, das alles war ihr '
Geblendet und hingerissen von dieser mäi
haften Künstlerin kehrte ich heim, u
war mir sofort klar, daß ich hier einer
tiven Äußerung der Natur gegenüber
die sich niemals wiederholen würde."
schuf Aquarelle, Welche die Loie Ful
charakteristischen Tanzposen zeigen (u.
Musee Rodin, Paris)11. Sie versucher
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