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Volltext: Alte und Moderne Kunst XV (1970 / Heft 109)

reines-Basses 
Bildhauer Pierre Roche, von dem wir noch 
sprechen werden, darüber, daß sich die Tän- 
zerin mit wissenschaftlichen Experimenten 
beschäftigte. So ließ sie sich von Pierre und 
Marie Curie bei einem Radium-Tanz beraten, 
bei dem sie phosphoreszierend auf der ver- 
dunkelten Bühne aufleuchtete. Um die optische 
Wirkung ihrer Tanzschöpfungen zu steigern, 
ließ sie sich mikroskopisch vergrößerte Auf- 
nahmen von Diatomecn (Kieselalgen) auf ihre 
schwingenden Schleiermassen projizieren, die, 
wie auf dem Plakat zu sehen, strukturbildende 
Akzente bildeten und nicht nur allein deko- 
rativer Art sind. Völlig anders im Stil als das 
Plakat ist „The Serpentine Dancer", ein bereits 
1894,95 entstandenes Werk des Amerikaners 
William H. Bradley. lis ist als ornamentalc Ab- 
straktion gezeichnet. Von diesem Blatt sagt 
Hans H. Hofstätter: „Die Serpentinentänzerin 
Loie Fuller, die mit ihren schwingenden Schlei- 
ern zum Lieblingsmotiv der jugendstilkünstler 
ganz liuropas geworden ist und selbst die 
tänzerische Auflösung der Figur in schwin- 
gende Bewegung veranschaulicht, wird von 
Bradlcy in einem Holzschnitt dargestellt, auf 
dem nur große fischblasenähnliche Formen 
die Fläche füllen, während im untersten 
rechten Eck zwei Füße dieses Abstraktum 
gegenständlich motivieren. Einige ]ahre später 
veröHc-ntlichte dann Thomas Theodor Heine 
(1867 1948) im 3. Quartal des ersten Jahr- 
ganges der „Insel" (1900) seine Illustration 
„Loie Fuller als Serpentinentänzerin" (Abb. 25). 
Das Wesentliche des schnell vorübergehenden 
Eindruckes bei der Vorführung eines gleichsam 
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schwerelos erscheinenden Schleiertanzcs, der 
damals so große Furore machte, ist hier genial 
erfaßt. liin höchst (iriginellcr (nicht ausge- 
führter) farbiger Plakatentwurf des öster- 
reichischen Künstlers Kolo Moser (1868 bis 
1918), Gründungsmitglied der XVicner Se- 
zession, zeigt ebenfalls, wie sehr ihn das 
Auftreten der Loie Fuller beeindruckte (Wien, 
Albertina, Inv.-Nr. 266.177)Z9. Als eine der 
berühmtesten Interpretinnen des Ausdrucks- 
tanzes, der mehr und mehr das klassische 
Ballett an Bedeutung verdrängte, kreierte sie 
einen neuen Tanzstil, der großes Aufsehen 
erregte. Die von ihr erdachten Tanzschöpfun- 
gen, die sie - und auch das war etwas Neues 7 
u. a. „danse Serpentine", „danse du papillon" 
und „danse du feu" nannte, führte sie mit 
kanalisierter und farbiger elektrischer Be- 
leuchtung vor. Dazu kamen technisch so neu! 
artige Effekte, wie daß sie auf einem gläsernen 
und von unten beleuchteten Bühnenhoden 
tanzte, ganz abgesehen davon, daß der Bühnen- 
raum völlig verspiegelt war, so daß die Zu- 
schauer nicht eine, sondern viele Loie Fullers 
vor sich wähnten. In ihrem Tanz vereinigte sie 
vor allem Licht und Bewegung, und, was 
die farbige Gestaltung als zusätzliches lile- 
ment anbetrifft, so ließ sie sich, was sehr auf- 
schlußreich ist, dazu von den gotischen Glas- 
fenstern der NötreaDame in Paris inspirieren. 
Sie war gleichsam der Inbegriff dessen, was 
sich ihre Zeitgenossen als neue Lebensvision 
erträumten und sie stand, so gesehen, im 
Zenit des Art Nouveau. Sie muß ihre Zu- 
schauer in einer Weise fasziniert haben, wie 
dies für uns heute kaum mehr vorstellb; 
Dafür sollen hier zwei zeitgenössische L 
zitiert werden. Das eine findet sich bei l 
Graf Keßler in seinem Essay über: „l 
und Religion" (x'gl.: Pan, 5. ]g., 1899i 
S. 169), in dem er schreibt: „Die Loie l 
hat unserer Zeit die Verwandtschaft zvai 
dem Schauspiel des Tanzes und den 
Ornamentes wohl am deutlichsten zun 
wußtsein gebracht." Dann sei Isadora D" 
aus ihren Memoiren zitiert, die über die 
Fuller sagte: „Vor Augen 
wandelte sie sich in eine farbenpräi 
schillernde Orchidee, in eine wogende, sel 
kende Wasserblume, in eine spiralig gr 
dene Lilie. Dieses herrliche Geschöpf z- 
zu Licht, es wurde zu Farbe und Feue 
löste sich schließlich in wundersame 
rnenrle Mäander auf, die aus der Unendlit 
zu leuchten schienen, alle magischen K 
eines Merlin, ein Zauber Vnn Farbe und 
strahlten von ihr aus. Es war kaum zu 
und kann weder erzählt noch beschi 
werden. Sie hatte ihren Serpentinentanz 
erfunden, der faszinierende Wechsel de 
bensatten Bilder, die wallenden Gewand 
hauehdünner Seide, das alles war ihr ' 
Geblendet und hingerissen von dieser mäi 
haften Künstlerin kehrte ich heim, u 
war mir sofort klar, daß ich hier einer 
tiven Äußerung der Natur gegenüber 
die sich niemals wiederholen würde." 
schuf Aquarelle, Welche die Loie Ful 
charakteristischen Tanzposen zeigen (u. 
Musee Rodin, Paris)11. Sie versucher 
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