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lebendes Thier, kein fliegender Vogel, kein laufender Hase, kein Storch, der einem Frosch
aufpaßt, kein Adler, der auf Beute lauert. Nichts als der gestirnte Himmel und das flache
grüne Grasfeld. Aber eine Stimme verkündet dennoch das Leben. Das ist der Sang der
Lerchen in hoher Luft, der vom Morgengrauen an über die ganze Puszta hinklingt.
Es dauert eine volle Stunde, bis wir in raschem Galopp diese Puszta durchschneiden,
wo kein Pfad und keine Radspur die Richtung weist, bis endlich vor uns am Gesichtskreise
die vier Hügel von Zäm auftauchen und zwischen ihnen die Ziehbrunnen mit drei
Schwengeln, förmlich wie ein Golgatha anzuschauen. An jener Stelle stand einst wirklich
die volkreiche Ortschaft Zäm, von der jetzt nur noch die Delibäb träumt; ihr Standort
ist durch die steinernen Grundmauern der zerstörten Kirche bezeichnet und durch jene Hügel,
welche die Gebeine von begrabenen Tausenden decken.
Auf dieser Puszta haust die „große Rinderherde" der Stadt. Fünfzehnhundert
Kühe mit ihren diesjährigen Kälbern und zahlreichen Stieren. Die Thiere befinden sich
im Sommer auf der Weide, im Winter auf den Tanyas oder den Waldweiden. Die Kühe
werden nicht gemolken, sie dienen nur der Zucht. Verkauft wird von der Herde nur trieb
weise und oft genug kommt es vor, daß der hinwegbeförderte Trieb von seinem neuen
Aufenthaltsort auf die Puszta Zäm znrücktrabt, wobei er sogar die Theiß durchschwimmt.
Die ganze „Gulya" (Herde) schläft in eine ungeheure Masse znsammengeballt, bis die
Sonne aufgeht, und gibt keinen Laut von sich, mögen auch die großen Hirtenhunde den
Wagen der fremden Ankömmlinge noch so heftig anbellen.
Die wunderbaren Variationen des auf der Puszta beobachteten Sonnenaufganges
finden ihre Erklärung in denselben Ursachen, welche die Erscheinungen der Delibäb Hervor
rufen. Sie sind Wirkungen der Strahlenbrechung in den unteren Luftschichten, welche durch
die Ausstrahlung des bei Tage durchwärmten sodahaltigen Bodens verdünnt werden.
Im ersten Augenblick drängt sich ein wundersam mächtiger Feuerhügel über den dunklen
Sehkreis empor, um sich im nächsten Augenblick spitz aufzugipfeln wie eine Pyramide.
Dann verzerrt sich das Sonnenbild zu einem Fünfeck; einen Moment später liegt es wie
ein Ei auf der Seite; noch eine Secunde und es schnürt sich unten zusammen, so daß es
in Pilzform dasteht; hierauf gleicht es uuten eiuer spitzen Citrone und zu allerletzt verengt
es sich ganz oben halsförmig wie eine römische Urne, — und während all dieser Ver
wandlungen hat es keinen Glanz, man kann ihnen mit freiem Auge folgen. Man könnte
dieses Phänomen „die Fata Morgana der Morgenröthe" nennen.
Wenn dann die echte Sonne ihre Strahlen um sich schießt, springt plötzlich das
ganze Heer gehörnter Thiere auf und setzt sich, dem Leitthier folgend, in Bewegung nach
dem grünen Gefilde, wobei es in einen Chorus von ununterbrochenem Gebrüll ausbricht,
dessen Disharmonie die gewaltigste Synrphonie bildet.