Gymnasial ■ Lehrplan von 1775
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Den Hess’schen Entwurf in seiner Genialität vollkommen würdigend, legte
Martini den Lehrplan mit warmer Anempfehlung der Studien-Hofcommission
vor. Hach Martini’s Rath arbeitete Hess einen Uebergangs-Entwurf aus,
welcher ohne Preisgebung der Principien sich mehr an die gegebenen Ver
hältnisse anschloss, und dieser Entwurf wurde sowohl der Kaiserin unterbreitet,
als auch auf ihren Befehl sämmtlichen politischen Landesbehörden zur Begut
achtung mitgetheilt.
Allein noch hatte der Gedanke, dass das Gymnasium keine philologische
Fachschule sein solle, in Oesterreich nicht Wurzel geschlagen. Während
competente Fachmänner den Gymnasial-Lehrplan mit Enthusiasmus feierten, war
über seine Durchführung bereits der Stab gebrochen. Die politischen Landes-
behö'rden hatten sich theilweise entschieden gegen ihn ausgesprochen und da in
der Studien-Hofcommission seine Freunde und Gegner sich mit seltener Heftigkeit
bekämpften, die beabsichtigte Bildung eines eigenen, unabhängigen weltlichen
Lehrstands mit Herbeiziehung von Ausländern auf weit verbreitete kirchliche
und politische Antipathien stiess, beauftragte die Kaiserin den Vorsteher der
savoyischen Ritterakademie, den Piaristen Gratian Marx, ihr ein Gutachten zu
erstatten. Er that es nach längerem Sträuben, sich in den bereits sehr ver
bitterten Streit einzulassen, und fasste einen Lehrplan ab, welcher auch vom
Staatsrath gutgeheissen und von der Kaiserin sanctionirt wurde (13. October
1775).
Durch diesen, wesentlich auf der alten Lehrweise der Piaristen x ) beruhenden
Lehrplan wurden die 3 „Grammatikal -Classen” und 2 „Humanitäts- Classen”,
wie bisher, beibehalten. Die Grammatikal-Lehrer sollten mit ihren Schülern
aufsteigen, die Humanitäts-Lehrer aber nicht wechseln. Die Gymnasien selbst
zerfielen in 3 Kategorien: 1) jene in den Landes - Hauptstädten mit dem Ge
halte von 300 oder 400 fl. für jeden Lehrer; 2) die theils an einen Orden mit
dem Gehalte von 150 fl. für jeden Lehrer zu übergebenden, theils von weltlichen
Lehrern mit dem Gehalte von 200 fl. zu versehenden; 3) die ganz von, geist
lichen Corporationen unterhaltenen. Die Instructionen vom 14. October 1775
und 3. April 1776 stellten folgende Grundsätze des Lehrvorgangs fest:
„Zu den Gymnasialstudien darf kein Knabe zugelassen werden, welcher
nicht das zehnte Lebensjahr erreicht und eine Aufnahms-Prüfung bestanden hat.
Wo Armuth mit dem Mangel besonderer Befähigung zusammentrifft, ist ein
Aufnahmswerber stets abzuweisen.”
„Die den Studien bereits gewidmete Jugend ist aus allen Kräften zu
vollständiger Erlernung der lateinischen Sprache anzuhalten, hierzu die Uebung
im Sprechen als unfehlbares Mittel zu erwählen, nebst der Fertigkeit auch
auf die Reinheit des mündlichen und schriftlichen Ausdrucks das Augenmerk zu
1) Schon im Jahre 17G3 war ein fast gleichlautender Lehrplan von einer Versammlung der
Vorstände des Piaristen-Ordens entworfen worden.