MAK
Nr. 19 
Seite 287 
I n t e r nationale Sammler-Zeitung. 
Die Kepler-Manuskripte der Wiener Hofbibliothek. 
Vom Professor W. v. Dyck (München).* 
Die Schätze der kaiserlichen Hofbibliothek in Wien 
enthalten eine bedeutende Sammlung von Handschriften 
Tycho-Brahes und Johannes Keplers. Die ersteren 
stammen der Mehrzahl nach direkt aus dem Nachlasse Tychos, 
der um die Mitte des 17. Jahrhunderts für die Hofbibliothek 
erworben wurde. Der größte Teil der ursprünglich 29 Hefte 
umfassenden Kepler-Handschriften wurde nach mancherlei 
Schicksalen irn Jahre 1774 durch die Kaiserin Katharina II. 
von Rußland angekauft und befindet sich jetzt auf der Stern 
warte zu Pulkowa. Drei Bände aber, aus weichen zu 
Anfang des 18. Jahrhunderts H a u s c h i u s mit Unterstützung 
Kaiser Karl VI. den Briefwechsel Keplers und eine Abhand 
lung über den Gregorianischen Kalender hcrausgegeben hatte, 
waren um eben diese Zeit in den Besitz der Wiener Hof 
bibliothek gelangt. Anderseits finden sich auch im Nachlaß 
Tycho-Brahes und dessen Schwiegersohnes Gansneb T eng 
nag e I, des bekannten Sekretärs des Erzherzogs Leopold, 
Bischof zu Passau und - Straßburg, eine größere Zahl 
Kepleriana. Bei der Herausgabe der gesamten Werke Keplers, 
welche Ch. Frisch in den Jahren von 1850 bis 1870 
veranstaltete, wurden merkwürdigerweise die Wiener 
Manuskripte, die man schon alle durch Hauschius veröffent 
licht glaubte, nur einer flüchtigen Durchsicht unterzogen, was 
mit dadurch vielleicht erklärt werden kann, daß um eben 
diese Zeit die Handschriftcnsammiung eine durchgreifende 
Neuordnung fand. Auch seither sind diese Dokumente völlig 
unbeachtet geblieben, obwohl sie der Hauptsache nach im 
6. Bande des trefflichen Handschriftenkataloges der Wiener 
Bibliothek verzeichnet sind. Der Vortragende hat gelegentlich 
einer biographischen Arbeit über Kepler (die ihn auch auf 
andere noch unbekannte Kepleriana, die Prognotica der Jahre 
1604 und 1624, das Glaubensbekenntnis von 1623 und andere 
mehr geführt hatte, den Manuskripten der Wiener Hof 
bibliothek genauer nachgeforscht und sie nunmehr mit andern 
Dokumenten für die Veröffentlichung vorbereitet. F.s lassen 
sich die in den oben genannten drei Codices enthaltenen, wie 
die in den Papieren Tycho-Brahes und Tengnagcls zerstreut 
sich findenden Dokumente folgendermaßen zusammenfassen: 
Briefe und Aktenstücke über die Herausgabe der 
Rudolfinischen Tafeln und daran anschließend Verhandlungen 
Fig. 9. Salzburg um 1810. 
wegen der Veröffentlichung der astronomischen Beob 
achtungen von Tycho-Brahe mit Kepler und mit seinen Erben. 
Die Dokumente umfassen die Zeit von 1604 bis 1636 und sind 
deshalb besonders beachtenswert, weil die Herausgabe der 
Tafeln und Beobachtungen, welche dem kaiserlichen Astro- 
. * Aus dem beim Naturforschertag in Wien gehaltenen Vor 
träge. 
nomen als Hauptaufgabe gestellt war, Kepler sein ganzes 
Leben hindurch immer wieder beschäftigt hat, nachdem ihn 
ihre erste Inangriffnahme, durch welche ihm Tycho-Brahes 
genaue Beobachtungen zugänglich wurden, auf die Entdeckung 
der Gesetze der Planetenbewegung geführt hatte. 
Abhandlungen Zur Frage der Kalenderreform, welche 
unter den Kaisern Rudolf II. und Mathias die Vorschläge für 
die Einführung des Gregorianischen Kalenders auf eine feste 
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Fig. 10. Ballonauistieg zu Versailles, 1783. 
wissenschaftliche Basis stellen und den protestantischen Kur 
fürsten und Ständen annehmbar machen sollten. Von diesen 
Untersuchungen ist nur ein Teil aus der Veröffentlichung durch 
Hauschius und aus Manuskripten von Pulkowa und Dresden 
bekannt. 
ln unmittelbarem Zusammenhang damit stehen zwei Ab 
handlungen über die in den Rudolfinischen Tafeln angewendete 
Julianische Zeitrechnung und über die goldene 
Zahl, die gelegentlich iri den Tafeln Erwähnung finden, ohne 
daß man bisher von ihrem Vorhandensein Kenntnis hatte. End 
lich finden sich noch umfangreiche Tabellen, Rechnungen und 
graphische Darstellungen zur Planetenbewegung sowie über 
noch unbeachtete Briefe und Dokumente, zumal über die Be 
ziehungen Keplers zu Tycho-Brahe. Das ganze Material, bei 
dessen Durcharbeitung auch die in Pulkowa befindlichen 
Manuskripte herangezogen werden müssen, trägt in nicht 
unwesentlichen Punkten zur Ergänzung der Lebens 
geschichte und Lebensarbeit Keplers bei. ln der Folge wird 
man aber auch insbesondere dem reichen Briefwechsel 
Keplers, der kulturhistorisch von ganz besonderer Bedeutung 
ist, ein erneutes Interesse zuzuwenden haben. Die mit größer 
Sorgfalt von Frisch in der Gesamtausgabe vorgenommene 
Ein- und Aufteilung dieses Briefwechsels in den sachlichen 
Zusammenhang der einzelnen Werke und Schriften dient zwar 
in trefflicher Weise der Texterläuterung im einzelnen, aber 
man muß es bei dem lebendigen und eindringlichen Stil dieser 
Briefe doch beklagen, daß aus den jeweils dargebotenen 
Bruchstücken kein einheitliches Bild von Kepler entsteht, wie 
es gerade aus der Zusammenfassung des Briefwechsels zu uns 
sprechen könnte. Wenn man die glänzende Ausgabe der 
Werke Galileis betrachtet, die neu in Angriff genommenen 
von Huygens, von Euler, so entsteht der Wunsch, auch das 
Lebenswerk und die Persönlichkeit des größten deutschen 
Astronomen in einer die Gesamtheit aller uns heute zugäng 
lichen Dokumente zusammenfassenden Form neu erstehen 
zu sehen.
	        
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