Nr. 19
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I n t e r nationale Sammler-Zeitung.
Die Kepler-Manuskripte der Wiener Hofbibliothek.
Vom Professor W. v. Dyck (München).*
Die Schätze der kaiserlichen Hofbibliothek in Wien
enthalten eine bedeutende Sammlung von Handschriften
Tycho-Brahes und Johannes Keplers. Die ersteren
stammen der Mehrzahl nach direkt aus dem Nachlasse Tychos,
der um die Mitte des 17. Jahrhunderts für die Hofbibliothek
erworben wurde. Der größte Teil der ursprünglich 29 Hefte
umfassenden Kepler-Handschriften wurde nach mancherlei
Schicksalen irn Jahre 1774 durch die Kaiserin Katharina II.
von Rußland angekauft und befindet sich jetzt auf der Stern
warte zu Pulkowa. Drei Bände aber, aus weichen zu
Anfang des 18. Jahrhunderts H a u s c h i u s mit Unterstützung
Kaiser Karl VI. den Briefwechsel Keplers und eine Abhand
lung über den Gregorianischen Kalender hcrausgegeben hatte,
waren um eben diese Zeit in den Besitz der Wiener Hof
bibliothek gelangt. Anderseits finden sich auch im Nachlaß
Tycho-Brahes und dessen Schwiegersohnes Gansneb T eng
nag e I, des bekannten Sekretärs des Erzherzogs Leopold,
Bischof zu Passau und - Straßburg, eine größere Zahl
Kepleriana. Bei der Herausgabe der gesamten Werke Keplers,
welche Ch. Frisch in den Jahren von 1850 bis 1870
veranstaltete, wurden merkwürdigerweise die Wiener
Manuskripte, die man schon alle durch Hauschius veröffent
licht glaubte, nur einer flüchtigen Durchsicht unterzogen, was
mit dadurch vielleicht erklärt werden kann, daß um eben
diese Zeit die Handschriftcnsammiung eine durchgreifende
Neuordnung fand. Auch seither sind diese Dokumente völlig
unbeachtet geblieben, obwohl sie der Hauptsache nach im
6. Bande des trefflichen Handschriftenkataloges der Wiener
Bibliothek verzeichnet sind. Der Vortragende hat gelegentlich
einer biographischen Arbeit über Kepler (die ihn auch auf
andere noch unbekannte Kepleriana, die Prognotica der Jahre
1604 und 1624, das Glaubensbekenntnis von 1623 und andere
mehr geführt hatte, den Manuskripten der Wiener Hof
bibliothek genauer nachgeforscht und sie nunmehr mit andern
Dokumenten für die Veröffentlichung vorbereitet. F.s lassen
sich die in den oben genannten drei Codices enthaltenen, wie
die in den Papieren Tycho-Brahes und Tengnagcls zerstreut
sich findenden Dokumente folgendermaßen zusammenfassen:
Briefe und Aktenstücke über die Herausgabe der
Rudolfinischen Tafeln und daran anschließend Verhandlungen
Fig. 9. Salzburg um 1810.
wegen der Veröffentlichung der astronomischen Beob
achtungen von Tycho-Brahe mit Kepler und mit seinen Erben.
Die Dokumente umfassen die Zeit von 1604 bis 1636 und sind
deshalb besonders beachtenswert, weil die Herausgabe der
Tafeln und Beobachtungen, welche dem kaiserlichen Astro-
. * Aus dem beim Naturforschertag in Wien gehaltenen Vor
träge.
nomen als Hauptaufgabe gestellt war, Kepler sein ganzes
Leben hindurch immer wieder beschäftigt hat, nachdem ihn
ihre erste Inangriffnahme, durch welche ihm Tycho-Brahes
genaue Beobachtungen zugänglich wurden, auf die Entdeckung
der Gesetze der Planetenbewegung geführt hatte.
Abhandlungen Zur Frage der Kalenderreform, welche
unter den Kaisern Rudolf II. und Mathias die Vorschläge für
die Einführung des Gregorianischen Kalenders auf eine feste
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Fig. 10. Ballonauistieg zu Versailles, 1783.
wissenschaftliche Basis stellen und den protestantischen Kur
fürsten und Ständen annehmbar machen sollten. Von diesen
Untersuchungen ist nur ein Teil aus der Veröffentlichung durch
Hauschius und aus Manuskripten von Pulkowa und Dresden
bekannt.
ln unmittelbarem Zusammenhang damit stehen zwei Ab
handlungen über die in den Rudolfinischen Tafeln angewendete
Julianische Zeitrechnung und über die goldene
Zahl, die gelegentlich iri den Tafeln Erwähnung finden, ohne
daß man bisher von ihrem Vorhandensein Kenntnis hatte. End
lich finden sich noch umfangreiche Tabellen, Rechnungen und
graphische Darstellungen zur Planetenbewegung sowie über
noch unbeachtete Briefe und Dokumente, zumal über die Be
ziehungen Keplers zu Tycho-Brahe. Das ganze Material, bei
dessen Durcharbeitung auch die in Pulkowa befindlichen
Manuskripte herangezogen werden müssen, trägt in nicht
unwesentlichen Punkten zur Ergänzung der Lebens
geschichte und Lebensarbeit Keplers bei. ln der Folge wird
man aber auch insbesondere dem reichen Briefwechsel
Keplers, der kulturhistorisch von ganz besonderer Bedeutung
ist, ein erneutes Interesse zuzuwenden haben. Die mit größer
Sorgfalt von Frisch in der Gesamtausgabe vorgenommene
Ein- und Aufteilung dieses Briefwechsels in den sachlichen
Zusammenhang der einzelnen Werke und Schriften dient zwar
in trefflicher Weise der Texterläuterung im einzelnen, aber
man muß es bei dem lebendigen und eindringlichen Stil dieser
Briefe doch beklagen, daß aus den jeweils dargebotenen
Bruchstücken kein einheitliches Bild von Kepler entsteht, wie
es gerade aus der Zusammenfassung des Briefwechsels zu uns
sprechen könnte. Wenn man die glänzende Ausgabe der
Werke Galileis betrachtet, die neu in Angriff genommenen
von Huygens, von Euler, so entsteht der Wunsch, auch das
Lebenswerk und die Persönlichkeit des größten deutschen
Astronomen in einer die Gesamtheit aller uns heute zugäng
lichen Dokumente zusammenfassenden Form neu erstehen
zu sehen.