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[ich meine die Angabe der Lebensdauer mit 37 Jahren und die Stelle: quo
die natus est, eo esse desiit]. Das andere Element hat er wohl aus der
Tradition oder sonst woher, nur nicht aus der Grabschrift. Dieses zweite
Element erblicke ich in der Angabe des Charfreitags, welche in der
Grabschrift nicht enthalten ist.
lch stelle mir Vasari's Vorgang so vor: er will zu den von ihm
schon geschriebenen Künstlerbiographien auch eine Raphael-Biographie
hinzufügen. Er hatte wenig Material, wenig an Documenten, am aller-
wenigsten solche über des Künstlers Geburt, von welcher aber doch in
der Biographie gesprochen werden muss. Erfahren hat er, dass Raphael
an einem Charfreitag gestorben sei; er liest dazu in der Grabschrift die
Jahreszahl 1520, die 37 Jahre und die Stelle: wquo die natus est, eo esse
desiitr- und leitet sich daraus das Geburtsdatum ab. - Was liegt naher
als anzunehmen, Vasari habe auf die Beweglichkeit des Osterfestes somit
auch des Charfreitags vergessen. habe einfach von t52o 37 Jahre abge-
zogen und sei in der Meinung gewesen, er komme mit dieser Rechnung
gerade auf den Charfreitag von 1483 als den Geburtstag RaphaePs, ohne
sich im Mindesten klar zu machen, auf welches Datum diese beiden
Charfreitage fallen.
Es ist mir nämlich nicht möglich gewesen, auch nur eine Stelle in Va-
sari zu finden, welche den Rückschluss gestatten würde, Vasarihabe irgendwo,
sei es der Osterrechnung, sei es der Chronologie überhaupt auch nur einige
Aufmerksamkeit geschenkt. Man mag Vasari so hoch halten als man will,
für unfehlbar wird ihn doch gewiss Niemand halten. Dass ihm zahlreiche
Oberflächlichkeiten nachgewiesen sind, läßt sich nicht abstreiten, und gerade
in unserem Falle kommt er mir besonders flüchtig vor. Deshalb gebe ich
auch weit mehr auf Bembds Zeugniss, als auf das des Aretiners.
Wie schon angedeutet, kann dergleichen Leichtsinn und ein lgno-
riren der Beweglichkeit des Osterfestes einem gelehrten Cardinal nicht
zugemuthet werden. Thausing hat erst vor wenigen Tagen dasselbe Thema
in einem Feuilleton behandelt und die Autorität eines Bembo und seiner
Grabschrift mit folgenden Worten gekennzeichnet:
nPietro Bembo, als einer der größten Gelehrten der Zeit, als Prälat
der römischen Kirche, war sich des Wechsels der Ostertage sicher vollständig
bewusst, als er Raphael jene Grabschrift setzte. Die deutlichen und ganz
ausdrücklichen Worte derselben können nur so verstanden werden, dass
er den 6. April, wie als den Todestag, so auch als den Geburtstag
Raphael's ansah. Er war auch über das Datum von dessen Geburtstag
sicher genau unterrichtet und wäre er es nicht gewesen, so waren es sicher
die Anderen, welche am Sarge des vielbetrauerten Freundes standen.
Eine irrige Angabe hätte sich daher damals nicht in das Epitaph ein-
schleichen können, ohne auf Widerspruch seitens der Eingeweihten zu
SIOSSBILa