Seite 320.
Internationale Sammler-Zeitung.
Hummer 20,
Arbeit. 6s braucht kein Genie zu sein, nur uernünftig, selbständig,
energisch. Tschudi, der gegenwärtig in ITlünchen die Sache oor-
macht, behauptet, es sei ein Vergnügen.
Ob es ein ITlaler sein könnte?
Die frage ist nach meiner Ansicht, soweit die alte Kunst in
Betracht kommt, doch nicht prinzipiell zu uerneinen. Gins spricht
zunächst für den Künstler, dafj er die Hauptbedingung, die
Diebe zur Kunst, mitbringt. 6s gibt sehr wenige Kunsthistoriker,
pan denen man das gleiche mit Sicherheit sagen kann, die nicht
ebensogut Juristen, Ceutnants oder Zahnärzte hätten werden
können, Sie missen sicher, daß die meisten höheren Beamten,
denen die Gntscheidung der wichtigsten Kunstfragen anheim ge
geben ist, bei uns tatsächlich reine Verwaltungsorgane sind und
dafj man in uielleicht nicht ganz ungerechter Schälung dieser
Beamten ernsthaft non einem rettrierten Zeremonienmeister als
Flachfolger Tschudis gesprochen hat. 6ins spricht unbedingt gegen
den Künstler. 6r bringt nicht die notwendige fühlung mit allen
Gebieten mit, nicht mal mit den Haupterscheinungen. Aber cs gibt
Ausnahmen. Ich will Ihnen nicht mit Velasquez kommen, weil
Sie mir mit Recht erwidern könnten, daß die in seiner 6poche
liegenden Kläglichkeiten der Züchtung künstlerischer Instinkte
mit unsern Verhältnissen nicht oerglichen werden könnten. Aber
es gibt auch aus neuerer Zeit mindestens eine leuchtende Aus
nahme: Delacroix. 6s wäre sicher nicht zu oerwegen, einem
Delacroix die Aufgabe anzuoertrauen. Und mit einem Grad
geringerer Sicherheit könnte man auch einen fromentin oor-
schlagen. Indem ich die beiden in einem Atem nenne, zeige ich,
daß ich nicht an den großen Künstler in Delacroix denke. Die
Fähigkeit, auf die es hier ankommt, ist selbstoerständlich oon der
Bedeutung des Kandidaten als ausübender Künstler ganz oder
nahezu unabhängig. Delacroix aber hat oon dieser fähigkeit in
seinem „Journal“ Proben gegeben, die alles Kunsthistorikertum in
den Schatten sinken lassen. 6r wußte das Wesent iche, während
die meisten fachleute nur zu häufig unter dem Unwesentlichen
unterliegen.
Sicher gestehen Sie mir solche Ausnahmen zu. Aber fragen
Sie, wie sie erkennen? Dies scheint mir nicht so schwierig. lAaler
oon so unioersellem Wissen wie Delacroix, oon so intensiuer Ob-
jektioität, werden immer ganz sichere Zeugnisse ihrer fähigkeit
geben, und zwar auf demselben Wege, auf dem Kunsthistoriker
ihr Wissen darzutun pflegen. Sie werden schreiben. Das liegt
in ihrer llatur. Sie werden in ihrer Kunst erholter bestehender
weitoerzweigter Werte sein, nicht nur Stürmer. Ihr Altruismus
wird sie zu Äußerungen treiben, um andere für ihre Ideen zu
erobern. Daran kann man sich halfen. Sie werden in dem reifen
Alter, in dem man Galeriedirektor zu werden pflegt, oollkommene
Umrisse ihres Programms niedergelegt haben, und dieses Programm
wird ganz uerläßlich sein, weil sie eben nicht aus den Büchern
anderer, sondern aus dem eigenen Instinkt abgeschrieben haben,
weil sie dabei nicht an ihr fortkommen, sondern nur an den
Außen der Gesamtheit und an den Vorteil ihrer eigenen geistigen
Gntfaltung gedacht haben.
finden Sie so einen Künstler, so würde ich Ihnen unbedingt
raten, ihn als Kandidaten aufzustellen, wenn er sich dazu hergibf,
Wohloerstanden, nur für den die alte Kunst betreffenden Teil der
Aufgabe, Zeitgenossen war selbst ein Delacroix nicht fällig, ganz
gerecht zu beurteilen. Daß er nur mit lAühe seinen Groll gegen
Caurbet, der ihm in oielen frühen Bildern so nahe war, nieder-
kämpfen konnte, ist bekannt. Wie hätte er sich erst gegen Klonet
und Cczanne oder gegen Renoir gewehrt!“
Dr. Georg Swarzenki (frankfurta. ITl.) äußert sich, tuiefolgt:
„Rieht nur ein einfaches logisches nachdenken über die
Aufgaben, um die es sich bei unseren Galerien handelt oder
handeln sollte, sondern auch die tatsächliche Grfahrung, die die
leßten Jahrzehnte in der Geschichte unsrer sämtlichen größer®
Galerien lehren, beweist es zur Guidenz, daß zum planmäßigen
Ausbau einer Gemäldesammlung, wie der Dresdner nicht ein
Künstler, sondern ein fachmännisch und praktisch gebildeter
Kunstgelehrter als maßgebender Ceifer notwendig ist. (In ge
wissem Grade gilt dies sogar schon für die Aufgaben, die die
bloße Grhaltung und Ordnung der oorhandenon Bestände erfordert.)
Ich meine, daß die prinzipielle Seite dieser frage bei allen, die
ein llrtei 1 haben, einstimmig in diesem Sinne entschieden ist, Im
übrigen wird es natürlich auch hier auf die Persönlichkeit des
Sammlungsleifers ankommen: er muß das große positioe Wissens
gebiet seines faches oollständig beherrschen und auf der Höhe
der forschung stehen, aber hierzu muß künstlerischer Geschmack
und praktische Begabung und Grfahrung treten, und schließlich
muß er mit kräftiger Gnergie, Taktgefühl und Geschicklichkeit mit
der fähigkeit eines raschen, sicheren Gntschlusses kühle, besonnene
Überlegung oereinen.“
Chronik.
flutographen.
(Klassiker-Autographen.) Die uon uns in der leßten
Hummer besprochenen Autographensammlungen C. G. Wenzel
und Karl Ullrich kamen am Id. o. 111. im Auktionsinstitut C. H.
Börner unter den Hammer. Sehr hohe Preise erzielten hiebei, wie
man uns berichtet, uor allem einige Briefe Cessings. So wurde
der prächtige, oon uns reproduzierte Brief an ITlaler ITlülIer in
IHannheim datiert 24. Jllärz 1777 (Wolfenbüttel), um 2400 ITlark oer
äußert. Gin anderes Schreiben Hessings (aus Hamburg), datiert oom
30. September 1769, an Johann Albrecht Heinrich Reimarus ging für
1700 llTark fort. Von Christian Gottfried Körner lag eine größere
folge oon Briefen (58) an seinen Sohn (Theodor) oor, die 1400
mark brachte; zwei miniafurportäfs, Ch. G. Körner und seine frau
darstellend, wurden mit 970 mark bezahlt. Die ungedruckte Szene
aus dem 5. Akt (8. Auftritt) des „fiesko“, fand für 1250 Alk. einen
Käufer. Gin anderes ATanuskript oon Schillers Hand, Cntmurf und
Szeneneinteilung zu den „ITlalthesern“, erzielte 810 Alk. 560 Alk.
zahlte man für eine geschnittene Original-Silhouette des jungen
Schiller; ein Zahnstocherbehälter aus Schillers Besiß (Glfenbein-
arbeit) wurde für 330 Alk. erstanden. 495 und 440 111k. erzielten
ein paar Briefe Schillers an Körner, zwei weitere an denselben
420 und 425 mark. Gin Brief Schillers an Koßebue, worin des
Dichters Aleinung über das Custspiel „Die Kleinstädter” klargclegf
wird, brachte 455 mark. Gin Brief oon Corona Schröter an ihre
Schwester (Weimar, 9. Juli 1788) ging für 650 mark fort, fluta-
graphen oon Goethe und seiner familie wurden diesmal weniger
hoch bewertet. Von „frau Rath“, der mutter Goethes lagen einige
Briefe oor, in der unbefangenen, köstlich naioen Art dieser herr
lichen frau hingeschrieben, stilistisch und orthographisch uon
geradezu erfrischender Originalität, inhaltlich oon kräftiger Aafiir-
lichkeit, die mit 580, 585, 305 und 155 Alark Bezahlung fanden.
Ginige Goethe-Briefe brachten 550 und 550 Alk. Gin Kanoersatians-
zettel oon Goethes Hand, während der schweren Krankheit in den
leßten Hooembertagen des Jahres >850 geschrieben, wurde mit
205 Alark bezahlt. 460 Alark erzielte ein schönes Stammbuchblatt
oon Goethes Hand in einer farbigen Umrahmung oon Alwine
fromman (1845 in Berlin gemalt); 445 Alark gab man für eine
Goethesche Candschaftsskizze (Hügel mit Alusenfempel, im Hinter
gründe Berge mit Gewölk); 265 Alark brachte ein origineller Brief