habe - dergleichen Erfahrungen werden auch beute gemacht. In anderen
Fällen beruht gerade in der Flüchtigkeit der Zeichnung oder in der
Sorglosigkeit, mit welcher das Colarit angebracht wurde, ohne den,Umriss
gänzlich zu füllen, der Reiz eines Stückes.
Das Gesagte könnte nun möglicherweise so verstanden werden, als
ob es besser wäre, unsere Arbeiter nicht höher zu schulen, sondern sie
in die Gebirgsdörfer in die Lehre zu schicken. Selbstverständlich liegt uns
diese Meinung fern. Aber vergegenwärtigen müssen wir uns immer wieder,
dass nicht, wie Mancher annimmt, in einigen Jahren oder Jahrzehnten das
Verlorene wieder gewonnen werden kann. Noch lange Zeit wird vergehen,
bis ein gewisses Kunstgefühl wieder Allgemeingut geworden ist und die
von Verbildung gereinigte Bildung und der unverdorbene Instinct einander
wieder auf demselben Boden begegnen. Der Process wäre wohl mit dem-
ienigen zu vergleichen, welchen die deutsche Sprache im vorigen Jahrhundert
durchzumachen gehabt hat, um von dem Schwulst und von den fremden
Schlacken frei zu werden. Auch das unselige Vorurtheil müssen wir vor
allen Dingen überwinden, dass es in der bildenden Kunst verschiedene
Rangclassen gebe nach dem Material, welches dem Künstler dient: erste
Classe Malleinwand, Oelfarben, Marmor, Erz u. s. w. Ueber dieses Vor-
urtheil zu klagen, haben gerade unsere tüchtigsten Leute auf dem Gebiete
der Keramik Ursache. Sie machen immer neu die Erfahrung, dass Kunst-
jünger glauben würden, herabzusteigen, wenn sie sich entschlössen, einen
Teller oder eine Kanne zu bemalen. Lieber rnit Schmerzen und vergeblich
warten, dass ein Mäcen oder Kunsthändler ihnen die Bilder abnehmen
werde, welche alle Wände des Ateliers bedecken, als mit dem Malen auf
Staubglasur sich eine sichere und behagliche Existenz gründen!
Die an solchem falschen Stolze Laborirenden möchten wir vor den
Glasschranlt führen, in welchem verschiedene Gefäße, vornehmlich Majoliken,
aus dem Besitze des Freiherrn N. v. Rothschild aufgestellt sind; und zwar
würden wir ihre Aufmerksamkeit nicht in erster Linie auf die großen
Prachtstücke lenken, von welchen eines den berühmten Namen des Orazio
Fontana von Urbino trägt, sondern auf die aus drei Stücken (Napf,
Untersatz und Deckel) bestehende Wöchnerinnenschale. Würden sie leugnen,
ein Juwel vor sich zu haben, und würden sie wirklich glauben, der
Künstler, welcher Wände und Ränder der Gefäße mit den köstlichsten
Grotesken bedeckte, die Spiegelflächen aber mit Kinderstubenscenen würdig
des besten Meisters und mit wahrhaft entzückenden Putten - der Künstler
wäre höher zu schätzen, wenn er die Sachen mit Oelfarben gemalt hätte?
Da tritt uns ein echtes, gesundes Kunstleben leibhaft entgegen. Dass die
Schale als Geschenk für eine vornehme Dame in einer sehr renommirten
ubüttegau bestellt worden, und dass der Maestro sein höchstes Können
darangesetzt habe, ist anzunehmen; er war aber ein Kunsthandwerker,
wie wir heute sagen würden, nicht etwa ein whöherer- Maler, welcher
sich gelegentlich zum Handwerk herabließ, ebensowenig jedoch ein