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wir hatten seinerzeit Gelegenheit genommen, auf die Bedeutung derselben
aufmerksam zu machen. Die Unification Italiens kommt diesen Bestre-
bungen zur Hebung der Frauenarbeit zu Statten; sie gewährt Bürgschaft
für eine einheitliche Leitung und macht es möglich, dass den industriellen
Unternehmungen auch ein Absatzgebiet gesichert wird. Die Spitzenschulen
im Venetianischen geniessen eine sehr geringe Subvention von Seite der
Municipien. Sie stehen unter dem Protectorate der Comtesse Marcello
und werden durch eine Gesellschaft kaufmännisch verwaltet. Ueber diese
Gesellschaft und die Schule in Burano hat Dr. A. Ilg in seiner lehrreichen
Broschüre: "Studien auf dem Gebiete des kunstgewerblichen Unterrichtes
in Italiens (Wien 1875), ausführlich und eingehend berichtet. Sie haben
nebenbei noch den Zweck, der arbeitslosen weiblichen Bevölkerung der
benachbarten Inseln der Lagunen Venedigs Beschäftigung und Verdienst
zu geben; sie vertreten zwei Richtungen der Spitzenindustrie. Die Schule
in Venedig bei S. Cassiano und die Schule in Pelestrino ist für die Klöppel-
arbeiten eingerichtet, beschäftigt theilweise schon Kinder in den frühesten
Jahren und auch Arbeiterinnen ausserhalb des Hauses. Es werden ge-_
klöppelte Spitzen von verschiedenem Werthe gemacht: von 20 Centimes
hinauf bis rz Francs per Meter. Diese Industrie hat ohne alle Frage eine
Zukunft, da die geklöppelten Spitzen vielfachen Bedürfnissen des Hauses
und der Familie entsprechen.
Die Schule von Burano, einer kleinen Insel, eine Stunde von Venedig
entfernt, producirt ausschliesslich Nadelspitzen und zwar sowohl in der
Art des sogenannten Punto di Burano, einer Spitze die etwa in der Art
ist wie die der Alencon, nur minder an Werth und dann im Punto rilievo
di Venezia. Die Schule wird von der Lehrerin Anna d'Este ganz trefflich
geleitet. Ob sich aber für diese Art von mühsamen Nadelspitzen wird
ein so sicheres Absatzgebiet erzielen lassen, wie für die Klöppelspitzen, ist
aus mehr als einem Grunde nicht so sicher. Diese Spitzen müssen ihrer
Natur nach relativ sehr theuer kommen, insbesondere die des Punto
rilievo und es wird lange dauern, bis ein gut geschulter und zahlreicher
Stock .von Arbeiterinnen sich in Burano bilden wird. Und nur unter
dieser Voraussetzung wird es möglich sein, für diese Nadelspitze eine
exportfähige Marktwaare zu schaffen. Vorläufig ist aber wenigstens das
erzielt, dass die Spitzenarbeit in Venedig wieder modern und beliebt
wird. Während die altvenetianische Goldschmiedearbeit sich kaum mehr
bemerkbar macht, kommen in den Hauptstrassen Venedigs in jedem Schau-
fenster die heutigen Spitzen neben den alten zur Geltung.
Im Ganzen und Grossen kann man auch nicht umhin zu bemerken,
dass die venetianische und die italienische Kunsttechnik in Venedig mehr
in Aufschwung kommt, als die französische, so weit dies bei einer nüch-
tigen Betrachtung der Schauläden ersichtlich ist. Man begegnet ausser
den erwähnten venetianischen Kunsttechniken auch der Florentiner Mosaik-
arbeit, der römischen Mosaik- und Cameentechnik, Alabasterarbeiten und