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mehr als 25 Pereent der Berufsarbeiten in den Vereinigten Staaten dem
weiblichen Geschlecht überlassen. In keinem andern Land ist gleichwohl
die Arbeit der Männer so hoch bezahlt, als in der Union, und nirgendwo
nehmen die Frauen eine so geachtete Stellung ein, als dort.
Wenn in Nordamerika die Verbreitung und günstige Stellung der
Frauenarbeit zumeist ein natürliches Ergebniss der starken Nachfrage
nach Arbeit auf dem riesenhaften Territorium des grossen westlichen
Coloniallandes ist, so erscheint dagegen die in der Neuzeit erzielte höhere
Werthung der weiblichen Arbeitskraft in England, wie in Europa
überhaupt, schon theilweise als Resultat bewussten Strebens. Als es sich
im Jahre 1860 herausstellte, dass in England mehr wie 2 Mill. Frauen
auf Erhaltung durch eigene Arbeit angewiesen seien und allein in London
45.000 Näherinnen und 14.000 Erzieherinnen ihre Thätigkeit verwerthen
müssen, da entstand auf Anregung des Lord Shaftesbury die „Gesell-
schaft zur Beförderung der Frauenarbeit", an deren Spitze sich Glad-
stone, der erste Staatsmann Englands, und die Bischöfe von London und
Oxford stellten. Zuerst gründeten sie ein Nachweisungsbureau und einen
Bazar. Eine Handelsschule und ein polytechnisches Institut folgten, wo
Frauen und Mädchen im Copiren, Notenschreiben, Stenographiren, Malen
und in der Buchführung unterrichtet wurden. Im Jahre 1861 gab es in
London schon 130 Photographinnen; 2 Druckereien arbeiten ausschliessv
lieh mit Setzerinnen; 4 Holzschneide-Anstalten, 5 Etablissements für An-
streichen und Poliren von Möbeln und zahlreiche Geschäfte für Zimmer-
decoration und Tapetenmalerei beschäftigen vorzugsweise Frauen, und
schon seit dem Jahre 1848 besteht in London eine Werkstatt, worin
(wie in Genf) die Produetion von Ketten für Chronometer, eine sehr
schwierige und delicate Arbeit, von 500 Arbeiterinnen betrieben wird.
Auch in den Telegraphen- und Eisenbahn-Bureaux sind viele Frauen
und Mädchen beschäftigt. Die im Jahre 1864 in London gegründete
Femal Medical Society sorgte in drei Jahren für die Ausbildung von 50
Doctorinnen für Frauen- und Kinderkrankheiten. - Von London ver-
breiteten sich diese Bestrebungen nach den andern Städten des Reiches.
Unter Anderm ward in Dublin eine unter dem Protectorat der Königin
und der Prinzessin von Wales stehende "Gesellschaft zur Heranbildung
und Beschäftigung erwerbsfähiger Frauen" in's Leben gerufen. Vor-
sitzender derselben ist der Vicekönig von Irland; Vicepräsident war der
(unlängst verstorbene) Lord Brougham. Durch die Bemühungen dieser
Gesellschaft wurden im Jahre 1866 175 Frauen und Mädchen in der
Telegraphie, Lithographie, dem Maschinennähen, Musterzeichnen und Be-
malen von Photographien, der Kalligraphie, Buchhaltung und dem Ge-
schäftsbetrieb unterrichtet. Bis zum Jahre 1866 hatten 782 Mädchen die
Anstalt besucht und 483 derselben eine lohnende Beschäftigung erlangt.
Auch in Frankreich gewähren die hochentwickelte Industrie und