MAK

Volltext: Alte und Moderne Kunst XIII (1968 / Heft 100)

kann. Er verurteilt die rationalen, recht- 
eckigen Baublöcke der Ringstraßenver- 
bauung und plädiert für winkelige, „male- 
rische" Aufteilung der Gründe. Die seit 
dem Klassizismus gepHegten großen Hof- 
anlagen verschwinden nun, und die Bauten 
werden zu kompakten Komplexen, wofür 
die Grundspekulation der Gründerzeit nicht 
die ausschließliche Ursache sein kann. Die 
einheitliche Baumasse verliert nun den 
kristallinischen Charakter und bekommt 
wieder etwas Amorphes, Knetbares. Die 
Fäden, die sich zum romantischen Historis- 
mus zurückziehen, sind zahlreicher als die 
Verbindung zum strengen Historismus. 
Die Wände werden jetzt mit weich aus- 
schwingenden Erkern und Balkonen oder 
vertieften Nischen plastisch modelliert, so 
daß eine einheitlich im Späthistorismus 
gestaltete Straßenflucht eine wellig bewegte 
Oberfläche erhält. Die Kuppel, einstens 
dem Sakralbau, später fürstlichen Palästen 
vorbehalten, nach und nach immer mehr 
profaniert, wird nun zum Zierstück des 
bürgerlichen Zinshauses 7 muß aber nicht 
nur als soziologisches Phänomen, sondern 
auch als künstlerisches Anliegen der Epoche 
gewürdigt werden. Aufschlußreich für das 
Kunstwollen ist der Kirchenbau. Aus ikono- 
graphischen Gründen bleibt man bei mittel- 
alterlichen Vorbildern. Während jedoch 
sonst die Repetition der Stile auffällig 
chronologisch anmutet, so daß man an eine 
Wiederholung des Gesamtablaufes denken 
könnte, erweist der Späthistorismus diese 
Beobachtung als problematisch. In ana- 
chronistischer Weise wird die Neugotik von 
der Neuromanik abgelöst, ein Wandel, der 
sich schon in Aussprüchen des alten Fried- 
rich von Schmidt abzeichnet. Der Grund 
kann nur im rein künstlerischen Bereiche 
liegen. An Stelle der aufgegliederten, 
struktiv durchgestalteten gotischen Form 
findet man im romanischen Mauerbau eine 
bessere Möglichkeit, dem eigenen Kunst- 
wollen Ausdruck zu verleihen. Auch wird 
jetzt wieder der Hausteinbau fast aus- 
schließlich bevorzugr, da er eine einheitliche 
Plastizität der Oberfläche besser gewähr- 
leistet als der Backstein. Außerhalb der 
Sakralarchitektur holt man sich Anregungen 
bei Stilen mit besonders kleinteiliger Orna- 
mentik. So greift Friedrich von Schmidt 
beim Erweiterungsbau der Oesterreichi- 
sehen Nationalbank 1873 erstmals für Wien 
Motive der deutschen Renaissance auf und 
leitet damit die Richtung der „altdeutschen 
Kunst" ein. Sein Schüler Wielemans wendet 
diese Anregungen beim justizpalast im 
Ringsttaßenbereich an. Stärker als bei den 
italienischen Vorbildern konnte bei den 
altdeutschen, niederländischen Motiven der 
Dekor in kleinteiliger und unregelmäßiger 
Weise über die Fassade verteilt werden. Der 
betonte Horizontalismus wird durch ein 
diffuses Überspinnen der Wand mit Orna- 
ment ersetzt. Ein ähnlicher Effekt ließ sich 
auch mit den Barockformen erzielen, nun 
nicht mehr mit jenen nach römischem Vor- 
bild, sondern mit solchen österreichischer 
Provenienz. Fischer von Erlach und Lucas 
von Hildebrandt standen bald bei vielen 
13
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.