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Internationale Sammler-Zeitung.
Nr. 20
Nachfrage nach Tizian, Qiorgione, Palma und anderen
ungemein stark, und die italienischen Händler sandten
denn auch zu Dutzenden und Dutzenden so viel Originale,
als nur immer begehrt wurden, die Kritik lag ja noch in
den Windeln. •**
Boehn weist auch darauf hin, daß das 17. Jahrhundert
das der großen Porträtisten war. Wenn man, sagt er, alle
Bilder, die zwischen 1600 und 1700 entstanden, vereinigen
könnte, so würde sich herausstellen, wie groß die Polle
ist, welche in dieser Zeit dem Porträt zufiel und wie es
das religiöse Genre, das so lange den Hauptteil der Pro
duktion gebildet hatte, zurückdrängte. Noch in der
Schule von Bologna, die in den Anfängen bis in die Mitte
des 17. Jahrhunderts zurückgeht, fehlt das Bildnis als
solches fast ganz. Die Carracci und ihre Schüler
haben solche kaum gemalt, die zahllosen Idealköpfe Guido
R e n i s tragen gar keine Porträtzüge; im 17. Jahrhundert
ändert sich das beinahe völlig. Im Oeuvre der großen
Meister dieses Zeitalters überwiegt das Porträt durch
aus. Das Bedürfnis ist nicht sobald da, als es auch schon
glänzend befriedigt wird. Der größte Maler »Le pcintrp
le plus peintre qui fut jamais« V e 1 a s q u e z ist fast aus
schließlich Porträtist. Philipp IV. hat ihn kaum um
sich, als er ihn auch schon nicht mehr missen kann und
ihm lange, lange Jahre hindurch als Modell dient. Wenn
dieser Monarch und sein Hof nicht vergessen werden
können, so danken sie das dem Pinsel ihres Hofmalers,
der ihnen ein Stück der Unsterblichkeit lieh.
Kein Herrscher dieses Jahrhunderts, der nicht seinen
Hofmaler ununterbrochen beschäftigt hätte. Wie oft hat
Rubens die Infantin Isabella Klara Eugenia
gemalt, Sustermanns die Medici, Mignard
und 1^ i g a u d König Ludwig XIV.; man kann von
einer Porträtmanie sprechen, wenn man hört, daß van
D y k den König Karl 1. vierzigmal, die Königin
Henriette dreißigmal gemalt hat, neunmal hat er den
Earl of Strafford, siebenmal den Earl of Arundel
gemalt, Lady D i g b y in einem Jahre viermal. Wenn die
Eitelkeit solche Triumphe feierte, so berührt es ordent
lich erfrischend aus dem Munde der Pfalzgräfin
Sophie das naive Geständnis zu hören, wie diese
Bilder van Dyks ihr eine so ganz irrige Vorstellung von
den Porträtierten vermittelt hatten. Als sie die Königin
Henriette und ihre Hofdamen kennen lernen sollte, er
wartete sie auserlesenen Schönheiten gegenüberzutreten
und war arg enttäuscht, daß diese schöne Königin schief
war, lange, dünne Arme und vorstehende Zähne hatte.
Diese Freude am Bildnis ist der ganzen Zeit und allen
Ständen zu eigen. Wer sich nicht malen lassen kann,
läßt wenigstens sein Konterfei irt Kupfer stechen; in
Nürnberg und Augsburg leben Dutzende handwerks
mäßiger Stecher, die mit nichts anderem beschäftigt
sind, als Patrizier, Bürger und Handwerker zu porträ
tieren. Wenn die Leichtigkeit des photographischen Ver
fahrens es zweihundert Jahre später den Damen ge
stattet, sich mit jedem neuen Hut vor das Objektiv zu be
geben, so haben auch damals Vermögende sich oft genug
porträtieren lassen, eine neue Frisur, ein neuer Spitzen
kragen waren Anlaß genug dazu. Manchmal sieht man,
wie der Stecher eine alte Platte geändert hat, um den
altvaterischen Schmuck von Bart und Haar nach der
Mode zu ändern. Man findet in den Bildnissen des
17. Jahrhunderts den ganzen Charakter der Zeit, wie
er sich aus dem Einfachen immer mehr ins Theatralische
steigert.
Die Preise berührt Boehn in seinem Buche nicht.
Einige Andeutungen darüber erhält man aus dem früher
erschienenen Buche Adolf Donaths: »Psychologie des
Kunstsammelns«, wo es bei Besprechung der Kunst
kammern des 17. Jahrhunderts heißt: »Aus den Rech
nungen des Begründers der Wiener Liechtenstein-Galerie
ersieht man die Preise, die der internationale Kunsthandel
des 17. Jahrhunderts aufgestellt hatte; 1643 wird Fürst
Karl Eusebius Liechtenstein von den Brüdern
Alexander und Wilhelm Eorchondt in Antwerpen,
deren Nachkomme Markus Forchondt übrigens um 1692
den Ankauf des Rubenschen Decius Mus-Zyklus an
Johann Andreas von Liechtenstein vermittelte, eine
Kollektion von Bildern angeboten, in der ein Pieter
Breughel die »Triomf van de Doot« mit tausend
Gulden bewertet wird, eine »Maria mit dem Kinde« von
Josef van C1 e v e mit dreihundert Gulden, ein Lukas van
Leyden, »Die heiligen drei Könige«, mit hundert
fünfzig Gulden. Den Josef van Cleve kaufte Fürst
Liechtenstein für zweihundert, den Lukas van Leyden
für hundertzwanzig Gulden.
In den »Spezifikationen« der Fürsten finden
sich überdies Posten, die unter anderen zeigen,
daß »zwei Köpff von Al brecht (Dürer), »Ecce
homo und Unser Liebe Frau« für hundert Thaler, oder
»zwei kleine Contcrfeit von Lucas Cranach« für dreißig
Thaler, oder »ein Kopff auf Hohlbein« für dreißig Reichs-
thaler »angetragen« werden. Die »Liebe Frau« von
Raffael von seiner »perfcctigsten und allerbesten
Manier« kostet fünfzehnhundert Reichsthaler, und das
»Judicium Paridis« von Franz Parmesan (Parmigianino),
Alchemist (?) und bester Discipel von Raffael sogar
zweitausendfünfhundert Reichsthaler.
Ein Fund verschollener Lettern.
Der Inselverlag und die Offizin Breitkopf & Härtel haben
den Teilnehmern am Hamburger Bibliophiientag gemeinsam ein
Büchlein von Jean Paul zum Geschenk gemacht, das in seiner
Art einzig dasteht. Denn »Des Rektors Florian Fälbels und seiner
Primaner T^eise nach dem Fiehteiberg« ist in Lettern gedruckt,
die zum ersten- und letztenmal in der Breitkopfschen Offizin
1798 zum Druck verwandt wurden und seitdem verschollen
waren. Wie sehr zu Unrecht verschollen, das zeigt dies reizende
Büchlein; und wie die schönen und klar geschnittenen Lettern,
die nunmehr »Jean Paul-Schrift« heißen, glücklich wieder ans
Tageslicht gelangten, das schildert Dr. Anton Kippenberg,
der Leiter des Leipziger Inselverläges, in einem zierlich ver
schnörkelten Nachwort, aus dem wir mit herzlichem Vergnügen
im folgenden einiges wiedergeben:
»Auf deiner Zunge, lieber Leser, hast du nun drei Fragen
hegen: wie kommt, daß man mir gerade ein Werklein von Jean
Paul vorsetzet, da doch sonst heutzutage kaum ein Hund einen
Brocken von ihm annimmt; warum heißen die Lettern, in denen
ich dies lese, nach ihm, und wieso hat gar der Breitkopfsche
Bär sich auf das Insel-Schifflein gesetzet? Ein Recht hast du,
so zu fragen, lieber Leser!
Du kennst das vierschrötige Haus inmitten der Nürnberger
Straße zu Leipzig, welches änzustreichen nun seit einem Jahr
hundert erwägen, die es angeht. Dorten, auf dem gewaltigen