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Das Freihapdzeichnen beginnt auf unterster Stufe mit geradlinigen
und somit fast ausschließlich musivischen Mustern. Dies gilt in erhöhtem
Maße, wenn man die textilen Muster vom Standpunkte der reinen Com-
position aus unter Musivisches im weiteren Sinne subsumirt. Thatsächlich
sind ja zahlreiche musivische und Textilmuster der Primitiv-Völker nicht
zu unterscheiden und ist die sog. nLeinWandbindungß der Textilindustrie
nichts anderes als das Schachbrettmuster der gewöhnlichen Steinpliasterung;
der uKöpern oder die Diagonalverbindung umfasst die im Musivischen
sog. Gräten und Zickzackmuster; die textile nAtlasbindungw und der
-gebrochene Köperu sind die zerstreuten Muster der anderen Techniken.
Alle diese Muster und noch viele andere hieher gehörige entwickeln sich
logisch eines aus dem andern, und die wesentlichsten Grundsätze orna-
mentaler Composition über Reihung, Symmetrie, Massenvertheilung,
werden leicht daran entwickelt und neue Combinationen nach geringer
Anleitung selbst von Volksschulknaben aller Alterstufen unschwer gefunden.
Man hat es dabei meist (und wenn man will ausschließlich) mit Ornament-
formen primitiver Kunststufen zu thun und das ist günstig, denn primitive
Völker und Kinder zeigen in Allem eine gar merkwürdige Aehnlichkeit
geistigen Lebens.
Lediglich zu dem Zweck, das Interesse der Schüler am Zeichnen
zu beleben, wurde ganz in der hier bezeichneten Richtung an verschiedenen
Schulen schon Manches gethan. Dieser Vorgang müsste jedoch ganz
bestimmt an Sicherheit und Verallgemeinerung gewinnen, wenn einmal
eine Durchbildung des ganzen Zeichenunterrichtes in dieser Weise vor-
läge und wenn Lehrmittel und lnstructionen schon zur Verfügung stünden,
welche zu einem solchen Vorgang alles Nöthige enthalten.
Schwieriger als dieser erste Theil ist der nun folgende Schritt.
Gleich mit den Laubwerken zu beginnen, verursacht einen zu großen
Sprung. Es sollen die stetigen krummen Linien in großen einfachen Zügen
noch vorerst geübt und auch verstanden werden. Diejenigen, welche die
Kreise hauptsächlich dem geometrischen Zeichnen zuweisen, mögen Recht
haben, aber die Spiralen, Wellenlinien u. dgl., welche die Skelettlinien
der meisten Laubornamente und alles Späteren ausmachen, die sollten
nach rein pädagogischen Grundsätzen nun folgen.
Vom Standpunkte gewerblicher Praxis und der Heranziehung des
Entwerfens zu Diensten des Unterrichtes wird diese pädagogische For-
derung als ein unumstößliches Axiom zu respectiren sein. Nicht soll das
Kind mit dem Bade ausgeschüttet werden, nicht soll technischer oder
Compositions-Dilettantisrnus getrieben werden auf Kosten der erziehlichen
Nothwendigkeit. Nein! Es wird der Fachmann, der Kunsthistoriker sich
blos auf dem ganzen weiten Gebiete der Geschichte aller Techniken ein
wenig umsehen, wo er etwa in der Praxis eine Formengruppe findet,
welche dieser pädagogischen Forderung entspricht.