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deren Geschichte und Einrichtungen, - Katalog, - Museographie und
Biographie einer Sammlung, wie er sie sich denkt. Dieser Katalog umfasst
allein mehr als einhundertundfünfzig Folioseiten.
An die Spitze des Ganzen stellt Sernper, sich auf das in der ersten
Schrift Entwickelte beziehend, eine Reihe von Fundamentalsätzen des
Inhaltes: Kunst, Kunstsinn und Stilgefühl haben in der modernen Welt
nicht Schritt gehalten mit der Entwicklung des Wissens; die Volksbildung
wird aber nur dann eine vollendete sein, wenn, wie zur Zeit der Blüthe
der griechischen Cultur, Wissenschaft und Kunst Hand in Hand gehen i
und zu allen menschlichen Dingen in Beziehung stehen. Dieses Ziel kann,
vorausgesetzt dass die Gesellschaft auf gesunden Grundlagen ruht, durch
öffentlichen Unterricht erreicht werden. Ein Haupterziehungsmittel sind
gut organisirte Kunstsammlungen, das heisst solche, die zugleich wissen-
schaftliche und künstlerische Anstalten sind. In diesem Sinne ist die Ge-
schichte der Sammlungen eine Art Index der Geschichte der Cultur.
Auf den nächsten Seiten skizzirt der Verfasser nun die Geschichte
der kunstgewerblichen Sammlungen, welche zuerst in Zelt und Haus zu
Gebrauch und Zierde angelegt, dann den Todten mit in ihre Ruhestätten
gegeben wurden, bis nicht mehr die Gräber, sondern die Tempel nationale,
durch die Heiligkeit des Ortes geschützte Schatzkammern wurden. Er
weist dann die Vorliebe für Privatsammlungen bei den altorientalischen
Völkern nach, und verfolgt die Ausbreitung dieser Neigung über Griechen-
land, das Reich Alexanders, Rom und endlich zu den nordischen Zer-
störern des Weltreiches. Die abendländische Kirche vereinigte abermals in
sich Grabstätte und Museum. Um die Zeit des Ueberganges vom Mittel-
alter zur Neuzeit erregten die aus dem Orient, aus dem von den Türken
eroberten byzantinischen Reich, und endlich aus der neuen Welt kommen-
den Kunstarbeiten und fremdartigen Naturerzeugnisse wieder, wie in Rom
nach der Unterwerfung Griechenlands, die Lust zum Sammeln, die Leiden-
schaft dafür. Dem Charakter jener Zeit entsprechend wurde für die damals
angelegten Sammlungen mehr nach dem Fremden, Seltenen, Wunderbaren
getrachtet, als nach dem Schönen, und vollends fern lag systematisches
Sammeln und Ordnen. Doch verdankt ltalien jener Zeit und ihren grossen
Architekten die ersten Sammlungen von classischen Alterthümem, wäh-
rend die Holländer chinesische, japanische und indische Erzeugnisse auf-
häuften und den Grund zu naturhistorischen Museen legten, die deutschen
Fürsten und auch die Könige von Frankreich in ihren Kunst- und Rari-
tätencabineten in der Regel Kunst- und Naturproducte vereinigten. Das
vorige Jahrhundert brachte die kritische Richtung auch auf diesem Gebiete
zur Geltung, man trennte, classificirte, fasste die Museen als öHentliche
Bildungsanstalten auf, aber der Gedanke eines Universalmuseums, welchen
ältere Museographen angeregt hatten, gerieth in Vergessenheit.
In einer Anmerkung zu dieser Stelle nennt Semper eine von den
kleineren Schriften Kants, wldeen zu einer allgemeinen Geschichte in welt-