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Volltext: Monatsschrift für Kunst und Gewerbe XIII (1878 / 159)

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einen goldenen Boden hat, und nur minder begabtere Kinder in irgend 
eine Carriere gedrängt werden, wo sie beim Schreibtisch mühsam, aber 
wenigstens sicher ihr Leben fortfristen, ist es bei uns umgekehrt. Hat bei 
uns ein Junge, der einer Familie aus dem Gewerbestand angehört, ein 
grösseres Talent, so wird bei ihm der Ehrgeiz wachgerufen, er sei zu etwas 
Höherem geboren und er wird dann in eine höhere Lehranstalt geschickt, 
nach deren Absolvirung er durchaus keine Lust verspürt, ein Gewerbe zu 
betreiben, oder das Geschäft seines Vaters zu übernehmen. Dieses specifisch 
österreichische Vorurtheil, von welchem ein grosser Theil unseres Bürger- 
standes eingenommen ist, entzieht dem Gewerbe mitunter die besten Kräfte. 
Allerdings scheint es, dass sich ein Umschwung in vielen Kreisen des 
Bürgerstandes vorbereitet. Die übergrosse Masse von jungen Ingenieuren, 
Architekten und Aspiranten für Lehrerstellen und Beamtenstellen legt es 
bereits vielen Eltern nah, das Kind für einen Gewerbs- oder Industrie- 
zweig zu erziehen, aber im Ganzen ist diese Anschauung noch nicht 
durchgedrungen, weder beim Gewerbestand, noch beim Bauernstand. S0 
wird mir ein drastisches Beispiel erzählt aus einer gewerblichen, kleinen 
Stadt Oesterreichs. Der Vater der Familie hat ein sehr gut rentirendes 
Schuhmachergeschäft und betreibt es mit 12 Gesellen, er hat zwei Söhne 
und mehrere Töchter. Keiner der Söhne will aber das Handwerk des 
Vaters lernen, der eine ist ein kleiner Beamter bei der Eisenbahn geworden, 
der Andere widmete sich dem Kaufmannsstande. Bei der Unbildung der 
Gesellen haben die Töchter keine Neigung eine Heirat mit einem der- 
selben einzugehen, und so ist das glänzende Geschäft in Gefahr unterzu- 
gehen, wenn ein Unglücksfall den Familienvater trifft. Es wird überall 
geklagt, dass die Lehrlinge und Gehilfen aus den unbrauchbarsten und 
ärmsten Schülern recrutirt werden, und dass daher dem Gewerbestande 
weder eine materielle noch geistige Capitalskraft zugeführt wird. Es würde 
gewiss ein grosser Segen sein, wenn durch die Verbindung der Fachschule 
mit der Volksschule oder durch die Einführung einer Arbeitsschule mit 
der Volksschule bei den Eltern und Vormündern der Kinder die Neigung 
wachsen würde, die Kinder für das Gewerbe zu erziehen und sie dem 
Gewerbe zu erhalten. Diesem ungesunden Zuge eines grossen Theiles 
unserer Bevölkerung ist es zuzuschreiben, dass der Zudrang zu dem 
uZeichenlehrer-Bildungscurseu an der Kunstgewerbeschule des österr. 
Museums so stark geworden ist, dass Massregeln getroffen werden mussten, 
um die Ueberproduction von Lehrern zu hemmen. Statt sich einem 
Kunsthandwerke hinzugeben, in der Kunstgewerbeschule zu lernen, um 
durch eine tüchtige Arbeitsleistung sich das Brod zu verdienen, suchen 
{manche arbeitsscheue junge Leute, unterstützt, theilweise auch aufgefordert 
von ihren Eltern, den Lehrerberuf, um auf diesem Wege vversorgtu zu 
werden, wie man sich in den betheiligten Kreisen ausdrückt, nicht be- 
denkend, dass nur wenige Zeichner zum Lehrerberuf taugen. Auch der 
grosse Zudrang zu den Cursen der Lehrer- und Lehrerinnenbildungsan-
	        
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